Badischer Fluor-Chemie-Skandal
Schadensbegrenzung, aber keine Entwarnung
Deutschlandfunk - November 22, 2018
Wasser-, fett- und schmutzabweisend – Perfluorierte Tenside (PFC) machen den Kaffee-Pappbecher dicht und schützen den Pizzakarton vorm Aufweichen. PFC soll krebserregend sein. In Baden ist die PFC-Belastung des Trinkwassers zum Skandal geworden. Die Behörden versuchen, den Schaden zu begrenzen.
Von Anke Petermann
Die Bürgerinitiative Sauberes Trinkwasser Kuppenheim nahm schon 2015 Blutkontrolluntersuchungen vor, auf eigene Kosten im kleinen Kreis. Damals von der Politik belächelt, erinnert sich der Co-Vorsitzende Ulrich Schuman. Es stellte sich heraus, dass PFC im Blut deutlich nachweisbar war.
„Und es war eben genau diese PFC-Verbindung, die auch im Trinkwasser ist. Das heißt, die Verursachung über das Trinkwasser, die ja jetzt auch über die große Blutuntersuchungsreihe bestätigt wurde, haben wir eben schon nachweisen können.“
Damit habe man Druck gemacht auf die Schumanns Ansicht nach zu zögerlichen Behörden. Ende 2016 veranlasste das grün geführte Gesundheitsministerium Baden-Württemberg eine Studie in Mittelbaden. 2018 untersuchte das Landesgesundheitsamt das Blut von 350 Personen auf 12 verschiedene perfluorierte Chemikalien. Ergebnis: Das Blut von 120 Menschen, die bis 2013 in Gebieten mit belastetem Trinkwasser lebten, enthält PFC, und zwar oberhalb der Unbedenklichkeitsschwelle.
„... und da wird nichts gefiltert und nichts gereinigt“
Mathias Schult ist einer der 400 Teilnehmer der Informationsveranstaltung, und spricht Karlin Stark vom Landesgesundheitsamt an. „Denn ich mache mir konkret Gedanken um meine Kleinen. Ich krieg‘ noch Nachwuchs im Februar, ich habe eine zweijährige Tochter. So.
„Kann ich verstehen, aber …“
„Ich komme aus Iffezheim. Mir wurde erzählt, wir haben zwei eigene Brunnen, und da wird nichts gefiltert und nichts gereinigt.“
Eine minimale Belastung sei festgestellt worden – könne seine Familie das Leitungswasser trinken? Karlin Stark bejaht, inzwischen werde die Unbedenklichkeitsschwelle im gesamten Landkreis unterschritten. Wie sich allerdings der Konsum belasteten Trinkwassers vor 2013 ausgewirkt hat, lasse sich kaum beurteilen. Stark kennt eine US-Untersuchung mit 60.000 Teilnehmern.
„Und da gab es Hinweise darauf, dass in dem Kollektiv mit hohen Werten entzündliche Darm-Erkrankungen häufiger vorkommen, dass die so eine Art Immun-Modulation haben“,
…eine Veränderung des Immunsystems,
„dass Impfungen nicht so schnell anschlagen.“
Auf die Fruchtbarkeit soll sich PFC auswirken, außerdem krebserregend sein. Allerdings weiß man nicht genau, welche Dosis welche Wirkung hat. Was Menschen wie Veronika Seite mit Blick auf die Zukunft beunruhigt.
„Im Moment ist es ist ja erst der Anfang von der ganzen Sache. Es geht ja auch um die Enkelkinder, wo man sich Sorgen macht.“
Stark: „Ja, Klar!“
Bäuerle: „Gut – für Entwarnung ist es sicherlich zu früh.“
PFC-kontaminierter Honig aus dem Verkehr gezogen
Aber Getreide, Obst und Gemüse aus der Region würden mit einem sogenannten Vorernte-Monitoring überprüft, sagt Jürgen Bäuerle, christdemokratischer Landrat von Rastatt: Was PFC-belastet sei, komme nicht in den Handel. Bauern aus Mittelbaden mussten deshalb in den vergangenen Jahren Teile der Erdbeer- und Spargelernte vernichten, in Mannheim wurde PFC-kontaminierter Honig aus dem Verkehr gezogen. Die Wasserversorger haben die Aufbereitung nachgerüstet, sagt Peter Riedinger von den Stadtwerken Baden-Baden.
„Gerade in Baden-Baden im Grundwasserwerk von Sandweier, wo wir wesentliche Belastungen auch hatten in Einzelbrunnen, um diese nachhaltig weiter und wieder nutzen zu können, und wir entfernen dort nachhaltig PFC im Trinkwasser“, mit Hilfe von Umkehrosmose und Aktiv-Kohlefilterung. Über höhere Wasserpreise müssen die Bürger das mitfinanzieren.
Das Geld für aufwendige Untersuchungen versucht der Landkreis Rastatt verwaltungsgerichtlich einzutreiben – und zwar vom örtlichen Kompost-Hersteller, den der Kreis für den Verursacher hält. Doch der bestreitet die Vorwürfe und zieht bis zum Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Die strafrechtlichen Ermittlungen stellte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe Anfang 2017 ein – wegen Verjährung.
Vergeblich hatte die Bürgerinitiative versucht zu erzwingen, dass die Verjährungsfrist für die schwere Straftat einer flächendeckenden Verseuchung von Boden und Wasser auf zehn Jahre verdoppelt wird.
SOURCE:
https://www.deutschlandfunk.de/badische ... _id=433897